Cover
Titel
Männlichkeit verhandeln. Von Lüstlingen, Kriegern und wahren Römern (1./2. Jh. n. Chr.)


Autor(en)
Weidauer, Jan
Reihe
Mainzer Althistorische Studien
Erschienen
Heidelberg 2021: Propylaeum
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 42,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kordula Schnegg, Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, Universität Innsbruck

Die hier zu besprechende Publikation ist die geringfügig überarbeitete Dissertation, die im April 2020 von Jan Weidauer an der Universität Mainz eingereicht wurde. Jan Weidauer greift mit der Frage nach dem Verhandeln von Männlichkeit einen aktuellen theoretischen Ansatz der Kritischen Männlichkeitsforschung auf, die seit geraumer Zeit auch in den Altertumswissenschaften stärker Berücksichtigung findet.1

Die Publikation weist eine klare Struktur auf. In der „Einleitung“ (S. 3–57) werden zunächst allgemeine methodisch-theoretische Überlegungen aus dem Gebiet der Geschlechter- und Männlichkeitsforschung erläutert, um anschließend einen Einblick in althistorische Themenfelder zu bieten, für die bereits umfassende Erkenntnisse zu Männlichkeit(en) in der Antike vorliegen (z.B. Sexualität, Rhetorik).2 Das zweite Kapitel „Deviante Geschlechtsidentitäten im satirischen Diskurs“ (S. 59–135) behandelt Fragen nach Geschlechterordnung, -dichotomie und -hierarchie im antiken Rom. Die Analyse erfolgt zum einen aus einer dekonstruktivistisch-diskursanalytischen Perspektive mit Blick auf Identitätskonstruktionen und Performanz und zum anderen greift die Studie auf Bourdieus Konzept des Habitus zurück, um antike Praxen zu eruieren. Das dritte Kapitel „Germanen und Griechen – Ethnizität und Männlichkeit“ (S. 137–249) verfolgt im Detail die Interdependenz von Ethnizität und Geschlecht im literarischen Diskurs. Mit unterschiedlichen Konzepten (z.B. Identität und Alterität, Topos „Barbar“, Dekadenzdiskurs) wird „wahre“ römische Männlichkeit in Differenz zu Germanen, Griechen und Besiegten herausgearbeitet. Im Schlusskapitel (S. 251–259) werden die Ergebnisse der Studie noch einmal zusammenfassend dargelegt, ein Literaturverzeichnis (S. 261–291) und ein Index locorum (S. 293–299) vervollständigen die Publikation.

Allgemein ist festzuhalten, dass Jan Weidauer einen guten Überblick über aktuelle Theorieangebote und über die Forschungsliteratur zum Thema bietet. Die Publikation liefert interessante Detailergebnisse für eine Geschichte der Männlichkeit(en) im antiken Rom, vor allem das Kapitel „Germanen und Griechen – Ethnizität und Männlichkeit“ ist hier hervorzuheben. Dieses Kapitel darf als best practise für die Anwendung theoretischer Perspektiven auf althistorische Quellen bezeichnet werden. Insgesamt sind die umfassenden theoretischen Ausführungen und das detaillierte Darlegen der Methodik äußerst begrüßenswert. Sie laden dazu ein, sich kritisch mit aktuellen Theorieangeboten auseinanderzusetzen und das Verhältnis zwischen Vergangenheit, Überlieferung (Quellen) und Geschichte zu bestimmen, was zu den zentralen Aufgaben der Geschichtswissenschaft zählt. Die nun folgenden Kritikpunkte sind daher als ein konstruktives Mit-dem-Autor-Denken zu verstehen. Sie sollten keineswegs die Leistung schmälern, die mit vorliegender Publikation erbracht wurde, sondern bestimmte Perspektiven schärfen: Die Einleitung ist im Hinblick auf die vorgestellten Theorieperspektiven sehr dicht. Zahlreiche Theoretikerinnen/Theoretiker werden angeführt. Die für die Analyse vorgenommenen Verknüpfungen einzelner Theorien (Gender-Konzept von Joan W. Scott, Judith Butlers Performanz-Theorie, Pierre Bourdieus Habitus-Konzept und Raewyn Connells Hegemoniale Männlichkeit) erfordern für eine erkenntnisreiche Lektüre eine enorme Konzentration auf das Wesentliche. Das hängt zum einen damit zusammen, dass in den Anmerkungen sehr dichte theoretische Überlegungen ergänzend zum Fließtext angebracht sind, und zum anderen werden verschiedene Theorien zwar für die Nützlichkeit der Analyse besprochen, aber für die Gesamtstudie nicht weiterverwendet (z.B. die Überlegungen von West/Zimmermann3, S. 10). Auf bestimmte Verallgemeinerungen in der Einleitung könnte verzichtet werden, z.B. die nur sehr punktuell gestalteten Hinweise auf aktuelle politische Strategien zum Umgang mit Geschlechterdifferenzen (S. 3–4), oder Formulierungen wie „westliche(r) Männlichkeitsvorstellungen“ (S. 4). Als kleinere Ungenauigkeiten der theoretischen Darlegungen sind zu erwähnen: Joan W. Scott unterscheidet nicht zwischen gender und „biologischem Geschlecht“ (S. 8), sondern zwischen gender und kulturell „wahrgenommenen sexuellen Differenzen“ („perceived sexual differences“).4 Gerade im konstruktiven Charakter des vermeintlich körperlichen Geschlechts liegt das innovative Potential des Scott'schen Konzepts für die historische Analyse. Es erlaubt nämlich die „sexual differences“ für jeden historischen Raum zu bestimmen. Außerdem kann für Connell nicht mehr das Personalpronomen/Possessivpronomen „er/sein“ verwendet werden (S. 21), da Connell sich schon seit längerer Zeit als Trans-Frau identifiziert (Raewyn Connell).

Für das Kapitel „Deviante Geschlechtsidentitäten im satirischen Diskurs“ bleibt unklar, ob Geschlecht als Analysekategorie und/oder als Strukturkategorie verwendet wird.5 Das führt dazu, dass der für dieses Kapitel zentrale Begriff „Geschlechtsidentität“ nur schwer zu fassen ist. Jan Weidauer lenkt sein Augenmerk auf „die gescheiterte Aktualisierung einer normadäquaten männlichen Geschlechtsidentität“, „um Erkenntnisse über römische Vorstellungen von Männlichkeit“ zu gewinnen (S. 59). Es ist eine methodische Frage, die sich der Rezensentin in diesem Zusammenhang aufdrängt: Sind (männliche) Geschlechtsidentitäten in den satirischen Texten überhaupt greifbar oder sind es nicht doch eher perspektivische Vorstellungen von Männlichkeit(en) und Weiblichkeit(en), die auf ironische und beschimpfende Art und Weise in diesen lateinischen Texten thematisiert sind?

Für das Unterkapitel „Die Ehe als binäre Kodierung der Geschlechtsidentitäten“ (S. 88–115) ist aus Sicht der Rezensentin die Analysekategorie class stärker zu betonen und ihre Interdependenz zu Geschlecht breiter zu thematisieren. Denn eine (rechtsgültige) Ehe konnten nur Mitglieder der römischen Bürgerschicht eingehen. Alle anderen Verbindungen oder Lebensgemeinschaften sind der römischen Rechtspraxis nach nicht als Ehe zu bezeichnen. Das Überzeichnen der römischen Ehe bei Juvenal und Martial persifliert damit nicht nur die römische Geschlechterordnung, die auf einer Geschlechterdichotomie und -hierarchie beruhte, und stellt nicht nur die dominante (römische) Männlichkeit in Frage, sondern auch die soziale Ordnung, die klare Grenzen im Umgang zwischen römischen Bürgern und jenen sozialen Gruppen, die nicht über das römische Bürgerrecht verfügten (versklavte Personen, Freigelassene, Fremde), definierte.

Im dritten Hauptkapitel wird Geschlecht als „mehrfachrelationale Kategorie“ (S. 128) verwendet. Im Detail wird der Verknüpfung von Männlichkeit und Ethnizität nachgegangen, um römische Männlichkeit, die eine hegemoniale Position im römischen Geschlechterdiskurs einnahm, zu bestimmen. Dabei werden ethnographische Diskurse nach Differenzkonstruktionen gesichtet, um römische Männlichkeit näher charakterisieren zu können. Dem von Jan Weidauer formulierten Hinweis, dass Ethnizität in der Auseinandersetzung mit sozialen Verhältnissen und Geschlechterverhältnissen im antiken Rom stärker berücksichtigt werden muss, ist unbedingt beizupflichten. Jan Weidauers erkenntnisreiche Ausführungen dazu führen die Rezensentin zur Fragestellung, ob für das Dekonstruieren der Verschränkung von Geschlecht und Ethnizität im antiken Diskurs die Analysekategorie race heranzuziehen ist,6 um im Sinne der Intersektionalitätsforschung nicht nur Differenzkonstruktionen, sondern auch die daraus resultierenden Praxen der Diskriminierung und Privilegierung effizient erfassen zu können. Diese zwei Machtmittel tragen wesentlich dazu bei, das Verhältnis zwischen hegemonialer Männlichkeit und subordinierten Männlichkeiten zu stabilisieren.

Jan Weidauer hat mit seinem Buch eine methodisch fundierte Analyse zu Männlichkeit(en) im antiken Rom vorgelegt. Sein Bemühen, theoretische Ansätze zu explizieren, althistorische Fragestellungen in einen wissenschaftstheoretischen Diskurs einzubetten und dabei die altertumswissenschaftlichen Traditionen einzuflechten, führt zu neuen Erkenntnissen und animiert zum Weiterdenken. Daher sollte das Buch in keiner Bibliothek fehlen.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Ilan Peled, Masculinities and Third Gender: The Origins and Nature of an Institutionalized Gender Otherness in the Ancient Near East (Alter Orient und Altes Testament 435), Münster 2016. Daniel Albrecht, Hegemoniale Männlichkeit bei Titus Livius, Heidelberg 2016.
2 In der anglophonen Forschung wurden bereits in den 1990ern zentrale Studien dazu geliefert, vgl. Amy Richlin, The Garden of Priapus. Sexuality and Aggression in Roman Humor, revised edition, New York 1992; vgl. Lin Foxhall / John Salmon (Hrsg.), Thinking Men: Masculinity and its Self-Representation in the Classical Tradition (Leicester-Nottingham Studies in Ancient Society 7), London 1998.
3 Candace West / Don H. Zimmermann, Doing Gender. Gender and Society 1/2 (1987), S. 125–151.
4 Joan W. Scott, Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: The American Historical Review 91/5 (1986) S. 1053–1075, hier: S. 1067–1070.
5 Für Geschlecht als Analysekategorie vgl. etwa Scott 1986 (wie Anm. 2) oder Irene Dölling „Geschlecht“ – eine analytische Kategorie mit Perspektive in den Sozialwissenschaften, in: Potsdamer Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung 1/3 (1999), S. 17–27. Für Geschlecht als Strukturkategorie vgl. etwa Nina Degele, Gender/Queer Studies. Eine Einführung, Paderborn 2008, S. 60–66.
6 Siehe Gabriele Winker / Nina Degele, Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld 2009. Nina Degele, Intersektionalität: Perspektiven der Geschlechterforschung, in: Beate Kortendiek / Birgit Riegraf / Katja Sabisch (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinärer Geschlechterforschung (Geschlecht und Gesellschaft 65), Wiesbaden 2019, S. 341–348. Matthias Bähr / Florian Kühnel, Plädoyer für eine historische Intersektionsanalyse, in: Dies. (Hrsg.), Verschränkte Ungleichheit. Praktiken der Intersektionalität in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung 56), Berlin 2018, S. 9–37.

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